Hat Trauer im Lockdown überhaupt Platz?

Über Corona und die Auswirkungen, die das Virus auf uns alle hat, ist schon viel gesagt und geschrieben worden. Natürlich wird unsere Gesellschaft erst am Ende der Pandemie wirklich wissen, was dieser Ausnahmezustand mit und in uns gemacht hat.

Ich möchte mit diesem Blogbeitrag einen Fokus auf das Thema Trauer richten. Trauer ist ein so individueller Begriff, der sich nicht in eine allgemeingültige Formel pressen lässt.

Doch geht es hier auch nicht darum, was Trauer für den oder die Einzelne bedeutet, sondern darum, wie Trauer in einem Lockdown gelebt und praktiziert werden kann.

Als wäre ein Trauerfall für sich genommen, nicht schon herausfordernd genug, so stellt er in Zeiten eines Lockdowns doch noch eine höhere Anforderung an den trauernden Menschen.

Die Corona-Pandemie hat auf einem Schlag unserer ganzen Gesellschaft das Gefühl von Sicherheit, Vertrautheit und Routine genommen.

Dabei sind es oft genau diese Dinge, die in einer Phase der akuten Trauer helfen, diesen unfassbaren Schmerz auszuhalten. Sie geben kleine Pausen, die helfen einen Moment, im Auge des Sturmes aus überwältigenden Gefühlen, einen Halt in dem Vertrauten zu finden.

Doch jetzt? Irgendwie scheint nichts, wie es vorher war. Nicht einmal die Beisetzungen der Urnen, mit der Asche unserer betrauerten Menschen, findet im gewohnten Rahmen statt. Oft ist es sogar nur erlaubt, dass eine kleine Auswahl an Menschen bei der Trauerfeier zulässig ist. Doch wer soll oder muss eingeladen werden? Wer würde nicht kommen wollen, weil ihm das Risiko einer Eigengefährdung zu hoch erscheint?

Das Problem ist bekannt, doch was kann helfen?

Einige Gedanken habe ich hier für Sie aufgelistet. Vielleicht möchten Sie den einen oder anderen Gedanken weiterdenken und dem Nachspüren, was er in Ihnen auslöst. Ob Ihnen das, was da auftaucht wohltut oder ob es vielleicht einfach im Moment nicht dran ist.

Ein richtig oder falsch kann es bei einer solchen Auflistung nicht geben, weil es auch kein richtiges Trauern gibt. Es liegt in der Natur der Sache, dass eine individuelle Trauer auch immer individuelle Angebote braucht. Daher können diese Gedanken auch nur Angebote für Sie sein.

  • Sich Zeit geben.

Wer trauert braucht Zeit für sich und seine Gefühle. In der Pandemie haben wir alle aber wenig Zeit um uns wirklich zu spüren. Wer viel um die Ohren hat, seine Kinder betreuen muss, seine Angehörigen in Pflegeeinrichtungen besuchen möchte, wessen finanzielle Existenz bedroht ist, der hat wenig Freiräume für eine tiefe und offene Trauer.

Doch ich finde, dass es sich lohn zu fragen, ob Trauer denn immer sofort und wie auf Kommando einsetzen muss? Auch hier gilt: „Alles hat seine Zeit!“

Es ist nicht wichtig, wann Trauer gelebt wird. Ein Aufschub, bis wir die Pandemie in den Griff bekommen haben, bis wir unser finanzielles, soziales und kulturelles Leben wieder geordnet haben, ist durchaus vertretbar.

Trauer unter Druck kann nur Trauerdruck aufbauen. Und ein harmonisches Einweben, des Trauerfadens in das Band des zukünftigen Lebens, kann gewiss nur ohne Druck passieren.

  • Keine Ziele setzen.

Trauerziele sind wichtig. Das steht außer Frage.

Und so ist es sicher jedem und jeder Trauernden nur zu wünschen, dass er oder sie irgendwann die Trauer verarbeiten kann. Auch wenn ich den Begriff des „Verarbeitens“ lieber durch ein „Einarbeiten“ ersetzen möchte, da dieser Begriff für mich verständlicher erscheint und stimmiger wirkt.

Doch in der Pandemie gelten auch hier besondere Regeln. Ziele sind in einer solchen Zeit, wie heute, nur schwer zu definieren. Denn fast wöchentlich ändert sich die Situation für fast jeden in unserer Gesellschaft. Und wenn sich der Ausgangspunkt ändert, dann stimmen oft auch die Koordinaten für das ambitioniert gesteckte Ziel nicht mehr.

Ich rate ab, in der Zeit der Pandemie große Ziele zu setzten. Von einem Tag in den anderen zu leben und zu trauern ist völlig in Ordnung. Erst wenn nach vielen Monaten der Trauerprozess immer noch stockt und sich keine Änderung in der Bewertung der eigenen Situation ergibt, ist eine genauere Betrachtung ratsam. (Natürlich ist auch hier immer der Einzelfall zu beurteilen.)

Also gilt auch hier: Keinen Stress!

 

  • Hilfe aktiv suchen.

Trauergruppen sind Orte, an denen sich Menschen treffen, die vergleichbaren Situationen stecken.

Der Austausch kann Hilfreich sein. Natürlich ist ein persönliches Treffen im Moment eher schwer bis unmöglich, aber es gibt auch Gruppen, die zeitweise ihr Angebot um virtuelle Treffen erweitert haben. Es besteht die Möglichkeit sich via Zoom oder anderer Chatprogramme zu treffen und auszutauschen.

Oft ist da aber auch eine Schwelle bei den Trauerenden, die erst einmal überschritten werden, bevor das persönliche Anliegen „im Internet“ breitgetreten wird.

Doch ist es wirklich so, dass da etwas breitgetreten wird oder sogar Informationen unerlaubt weitergegeben werden?

Ich halte das für unwahrscheinlich. Es ist doch eher so, dass alle Teilnehmenden heilfroh sind, dass sie sich austauschen können und dadurch auch merken, dass sie nicht allein mit Ihrer Trauer sind.

Chatgruppen haben weiter den Vorteil, dass keine Wege zur Gruppe zurückgelegt werden müssen.

Teilnehmende brauchen sich nicht einer Ansteckungsgefahr aussetzen, die auf dem Weg zur Gruppe, in der Öffentlichkeit durch Bus und Bahn, vielleicht wirklich gegeben ist. Auch ist der Heimvorteil nicht zu verachten, den die Chatgruppe hat. Alle Teilnehmenden können es sich zuhause einfach gemütlich machen. Da schmeckt der Kaffee doch immer am besten und sogar die Katze darf auf dem Schoß dabei sein. (Allergische Reaktionen der anderen Teilnehmenden sind zumindest bisher ausgeblieben.) Soll heißen, erlaubt ist, was gefällt! Hauptsache ist, alle fühlen sich wohl in ihrer Haut.

 

Ich hoffe, ich konnte vermitteln, dass Zeit und Raum zum Trauern ein Teil eines wichtigen Fundamentes ist, für das Haus, in dem lebensfördernde Trauerarbeit stattfinden kann. Nur ein solides Fundament trägt Wände und Dächer.

Im Moment ist nicht nur kalendarisch die Winterzeit am Zug. Es ist sicher auch für Trauernde eine kalte und ungemütliche Zeit.

Doch auch hier hilft vielleicht ein Vergleich aus dem Handwerk:

Wenn es friert, gießt kein Maurer ein Fundament!

Henrick Clausing